Weitere Erinnerungsstelen für jüdische Opfer des Nationalsozialismus in Linz errichtet
Fertigung der Klingeln im Ausbildungszentrum der voestalpine
Nach der Errichtung und Präsentation des ersten Erinnerungszeichens für Opfer des Nationalsozialismus in Anwesenheit des israelischen Botschafters Mordechai Rodgold und der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Herman, im Bernaschekpark in Urfahr wurden diese Woche sechs weitere Stelen im Linzer Stadtraum aufgestellt. Die Angaben und Daten zu jenen Linzer*innen, denen diese Stelen gedenken, sind bereits auf der Website www.linzerinnert.at abrufbar, wie auch die genauen Standorte.
Klingel als Metapher und interaktives Element des Erinnerns
Jede Stele wird aus Messing gefertigt. Darauf sind Name und Geburtsjahr der Opfer sowie Angaben zu Deportation, Ermordung oder Flucht graviert. Der Aufstellungsort befindet sich freistehend in der Nähe von jenen Straßenzügen, wo diese Personen ihre letzte, frei gewählte Wohnadresse in Linz hatten. Direkt neben den Namen sind an der Stele mechanische Türklingeln angebracht, die, wenn man sie drückt, einen leisen Klingelton erzeugen. Der oberösterreichische Künstler Andreas Strauss stellt die Klingel als mehrdeutige Metapher des Erinnerns ins Zentrum seiner Gestaltung, die sowohl Assoziationen des Daheim- und Zuhause-Seins hervorruft als auch den Moment des gewaltsamen Abholens beschreibt. Der Akt des „Anläutens“ stellt einen emotionalen Kontakt zu den Vertriebenen und Ermordeten her und lässt die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart schwinden.
Zusammenarbeit mit Ausbildungszentrum der voestalpine
Auf der Suche nach dem richtigen Umsetzungspartner kam Strauss rasch zum voestalpine-Ausbildungszentrum in Linz. Dort waren nach Einwilligung von den Verantwortlichen des Ausbildungsbetriebes, Werner Grubmüller und Harald Mühleder, und im vollen Wissen um die Komplexität des Vorhabens auch die Lehrlinge angetan vom Projekt.
Eine erhebliche Herausforderung war es, eine besonders robuste mechanische Klingel zu konstruieren und kleinserienreif zu machen. Was die angehenden Maschinenbautechniker*innen der voestalpine geleistet haben, kann sich wirklich sehen lassen. Sie zeichneten die Konstruktionspläne, fertigten das Presswerkzeug für die Klingelschalen, die Zuschnitte sowie die Biegekonstruktion der Klingelkörper. Bis das finale Modell in Modulbauweise aus insgesamt 16 Komponenten nach einem Härtetest mit 50.000-maligem Klingeldrücken feststand, wurden mehrere Zwischenvarianten entwickelt und wieder verworfen. Wodurch Strauss‘ junge Mitgestalter*innen durch alle Höhen und Tiefen eines solchen Projektes gingen.
Dank dieser Zusammenarbeit mit Lehrlingen des Ausbildungszentrums der voestalpine erhielt die Vermittlung des Projekthintergrundes und die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus zusätzlich eine wichtige Rolle. Dabei war auch das Zeitgeschichte Museum der voestalpine eingebunden, dass den NS-Zwangsarbeiter*innen am Standort Linz der ehemaligen Reichswerke Hermann Göring gewidmet ist. Die voestalpine stellte darüber hinaus Stahlbrammen als Fundamente für die Stelen im bebauten Innenstadtbereich zur Verfügung.
Vier Erinnerungszeichen in der Innenstadt – im Gedenken u.a. an Micha Shagrir und Bernhard Schwarz
In der Linzer Innenstadt wurden vier Erinnerungsstelen errichtet, die insgesamt 37 jüdischen Linzer*innen gedenken, die entweder vertrieben oder deportiert und ermordet wurden. Die genauen Standorte sind im Schillerpark auf der Höhe des Hauses Landstraße 71-75, im Volksgarten an der Stelzhammerstraße gegenüber der Einmündung der Ederstraße, in der Stockhofstraße nahe der Adresse 30 und am Beginn der Gärtner-/Figulystraße.
Das Erinnerungszeichen bei der Figulystraße gedenkt u.a. dem Ehepaar Schwager, das – bis 1938 wohnhaft in der Volksgartenstraße 19 – mit zwei Söhnen vor der nationalsozialistischen Rassenverfolgung nach Palästina flüchtete. Einer von den beiden war der letzte vor dem Holocaust in Linz geborene Jude Joseph Michael Schwager. Das gerade ein Jahr alte Kind wurde als Micha Shagrir ein international renommierter Regisseur und bedeutender Filmproduzent Israels. Die Familie von Micha Shagrirs Großvater wohnte in der Linzer Bischofstraße – wie auch die Familie von Adolf Eichmann. Diese Konstellation bewegte Shagrir zu dem 2005 beim Linzer Crossing Europe Filmfestival uraufgeführten Dokumentarfilm „Bischofstraße 7“. Im August wird auch in der Bischofstraße ein Erinnerungszeichen errichtet.
Die Stele im Schillerpark erinnert an Holocaustopfer, die überwiegend im Haus Landstraße 71 ihre zuletzt freiwillig gewählte Wohnadresse hatten. Unter ihnen Bernhard Schwarz und sein Sohn Walter, die beide nach Theresienstadt deportiert und dort bzw. in Auschwitz ermordet wurden. Bernhard Schwarz war Linzer Bildhauer, der das Bronzemedaillon mit dem Porträt des Industriellen Ludwig Hatschek gestaltete, das sich bei der Bauernberg-Parkanlage befindet.
Zwei weitere Erinnerungszeichen in Urfahr
Die Stele am Hinsenkamp, nahe der Adresse Rudolfstraße 6 errichtet, gedenkt sieben ermordeten Linzer Bürger*innen. Darunter finden sich Frau Friedericke Spitz und ihre beiden Söhnen Alexander und Eduard, die am Tag nach dem Anschluss, am 19.3.1938, in den Selbstmord getrieben wurden. Diese Stele erinnert auch an den ältesten Mann unter allen Linzer Holocaustopfern: Leopold Mostny, Jahrgang 1843 und wohnhaft in der Rudolfstraße 8, wurde 99-jährig nach Theresienstadt deportiert und in diesem Konzentrationslager am 6.10.1942 umgebracht.
An der Ecke Reindlstraße / Gerstnerstraße ist der Standort einer Stele insbesondere im Gedenken an sieben Linzer*innen, die alle im Jahr 1942 deportiert und in den Vernichtungs- und Konzentrationslagern Auschwitz und Theresienstadt sowie in den Ghettos von Izbica in Polen und von Minsk im heutigen Belarus ermordet wurden.
Die Erinnerungszeichen sind permanente, von der Linzer Stadtverwaltung errichtete Stelen, die ein personalisiertes Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus ermöglichen – insbesondere als Erinnerung an verfolgte, vertriebene und ermordete Linzer Jüdinnen und Juden. Über den Sommer werden weitere Erinnerungszeichen in der Linzer Innenstadt aufgestellt. Am 15. September gestaltet die Stadt Linz gemeinsam mit der Israelitischen Kultusgemeinde eine feierliche Zeremonie, zu der auch Nachkommen und Angehörige der Familien der Opfer aus dem Ausland anreisen werden.