Gewaltschutz in Linz
Stadt Linz setzt Schwerpunkt in Gewaltprävention und in der Täterarbeit
Im Jahr 2022 wurden bisher bereits 28 Frauen ermordet. Damit nähert sich die Zahl der Femizide an jene im Vorjahr, in dem 29 Morde an Frauen und Mädchen verübt wurden. Jede fünfte in einer Beziehung lebende Frau ist mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen. 81 Prozent der von den Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen betreuten Opfer von Gewalt sind Frauen und Mädchen, davon sind 90 Prozent der Gefährder(*innen) männlich.
Die Stadt Linz beteiligt sich auch dieses Jahr an der weltweiten Kampagne „16 Tage gegen Gewalt“ und setzt damit ein klares Zeichen gegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Das Frauenressort der Stadt Linz setzt das ganze Jahr über zahlreiche bewusstseinsbildende und präventive Maßnahmen, um Gewalt und Übergriffe zu verhindern, bietet aber auch kostenlose Angebote, um Opfer zu schützen und zu unterstützen.
Das Familienzentrum Pichling bietet als Teil der Kinder- und Jugend-Services (KJS) der Stadt Linz neben klassischer Elternbildung seit zwölf Jahren auch eine Spezialberatung für Gewalthandelnde und deren Familien an. Darauf aufbauend startete vor zwei Jahren das Projekt Gewaltprävention, das den Fokus auf Gewalthandelnde und deren Familien legt.
„Einen zentralen Schwerpunkt bilden hier Gewaltprävention und Täterarbeit, die ein wesentlicher Teil des Opferschutzes ist. Neben der klassischen Elternbildung und -beratung bietet das Familienzentrum Pichling damit ein spezielles Beratungsangebot für Gewalthandelnde und deren Angehörige an. Das Projekt setzt zum einen auf Intervention, zum anderen auf Prävention in der Täterarbeit, um das Aufkeimen von Gewalt gegenüber Frauen überhaupt zu vermeiden und das Problem an der Wurzel zu packen“, informiert Sozialreferentin Vizebürgermeisterin Karin Hörzing über das städtische Angebot.
„Frauenmorde sind die folgenschwerste Eskalation von patriarchalischen Mustern und von männlichem Besitz- und Anspruchsdenken gegenüber Frauen. Die Dunkelziffer der von Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen ist noch um ein Vielfaches höher. Die Gefahr für Frauen und Kinder, Opfer von Gewalt im eigenen Zuhause zu werden, muss weiter eingedämmt werden. Neben einer engagierten Frauenpolitik setzt hier die opferschutzorientierte Täterarbeit und Gewaltprävention an. Projekte wie jene im Familienzentrum Pichling bieten ebenda eine spezielle Beratung für Männer. Ein wichtiges Mittel im Kampf gegen Männergewalt und das von Anfang an“, betont Frauenstadträtin Mag.a Eva Schobesberger, die dieses Gewaltpräventionsprojekt initiiert hat.
StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt
Gewalt betrifft alle Schichten und wird in verschiedenen Ausprägungen sichtbar, hat also viele Gesichter. Das eigene Zuhause ist dabei für viele Frauen ein besonders gefährlicher Ort. Diesem Umstand trägt auch das Projekt StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt Rechnung, welches 2022 bereits mit dem Frauenpreis ausgezeichnet und dank einer finanziellen Förderung des städtischen Frauenressorts nun weiter ausgebaut wurde.
StoP ist ein langfristiges und ganzheitliches Projekt, das alle Menschen einlädt, befähigt und darin unterstützt, sich aktiv gegen Femizide und häusliche Gewalt an Frauen und Kindern bzw. Partnergewalt einzusetzen.
Das Projekt zeichnet sich durch einen besonders niederschwelligen Zugang aus und verbindet bestehende Opferschutzarbeit mit Gemeinwesenarbeit. Es setzt dort an, wo Gewalt stattfindet: in den Stadtteilen, in der Nachbarschaft, in den Siedlungen und Häusern. Dementsprechend wendet sich StoP auch explizit und direkt an die Zivilgesellschaft, bindet diese aktiv ein und vermittelt, was jede*r Einzelne beitragen kann.
Es zeigt darüber hinaus Unterstützungsmöglichkeiten für Gewaltbetroffene auf und informiert Nachbar*innen was getan werden kann, wenn sie häusliche Gewalt in ihrer Umgebung wahrnehmen. Das Projekt fördert Zivilcourage, bietet Vernetzung und sensibilisiert Betroffene und deren Umfeld darüber, dass Gewalt kein individuelles Problem ist, sondern ein gesellschaftliches. Die langfristigen Ziele von StoP Linz sind eine Reduktion der Gewalthandlungen im häuslichen Bereich und die Verhinderung von Femiziden, sowie die generelle Enttabuisierung von Gewalt im sozialen Umfeld, und ein steigender Bekanntheitsgrad der bestehenden Hilfseinrichtungen.
In Linz wurde das Projekt bereits 2021 im Stadtteil Urfahr installiert. Das Projekt wird vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser getragen und dem Frauenhaus Linz umgesetzt. Schon von Beginn an unterstützt und begleitet das Frauenbüro das Projekt als Kooperationspartnerin – u.a. wurde im Juli 2022 gemeinsam die Ausstellung „Warnsignale“ im Wissensturm realisiert. Seit 2022 kann das Projekt StoP dank einer Förderung durch die Stadt Linz zusätzlich im Franckviertel angeboten werden.
Neben konkreten Hilfsangeboten für gewaltbetroffene Frauen sowie der dringenden Notwendigkeit, die Gesellschaft über Gewalt(-dynamiken) aufzuklären, braucht es ganz besonders auch die Arbeit mit den Tätern selbst. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet das von der Stadt Linz initiierte Projekt der opferschutzorientierten Täterarbeit.
Opferschutzorientierte Täterarbeit (OTA)
Globalziel dieses Projektes ist die Verbesserung der Situation von Frauen und Kindern, die von Gewalt durch Männer in ihrer Partnerschaft betroffen sind, durch Abbau von gewalttätigem Verhalten bei Männern.
Das Konzept von OTA ist klar fall- und situationsorientiert, mit einem starken Fokus auf die unmittelbare Arbeit am Klienten in möglicher Abstimmung mit dem Gewaltschutzzentrum, der Kinder-und Jugendhilfe, dem Frauenhaus und dem Autonomen Frauenzentrum. Für diese Art der Kooperation braucht es eine Entbindung von der Verschwiegenheitsverpflichtung durch den Täter und das Opfer.
Durch die opferschutzorientierte Täterarbeit soll sichergestellt werden, dass gerichtliche Auflagen für Täter von diesen auch erfüllbar sind und durch den Austausch aller beteiligten Organisationen erreichen wir zielgerichtete Interventionen, die den Schutz der Frauen nachhaltig erhöhen.
Es ist eine österreichweite Forderung der Expert*innen aus Gewaltschutzeinrichtungen, dass mit den Tätern gearbeitet werden muss, um (potenzielle) Opfer nachhaltig zu schützen. Auch von den Linzer Einrichtungen wird das als ganz zentrale Notwendigkeit formuliert.
Bei den seit 1.9.2021 vom Bund eingerichteten Beratungsstellen für Gewaltprävention (in OÖ durchgeführt durch den Verein Neustart) müssen nach häuslicher Gewalt Weggewiesene an einer sechsstündigen Gewaltpräventionsberatung teilnehmen. Diese findet im OTA-Kontext vernetzt mit dem Gewaltschutzzentrum statt, welche gesetzlich mit der Opferarbeit betraut sind.
Nach dieser ersten gesetzlich verpflichtenden Intervention erfolgt, wenn notwendig, eine Übergabe an weiterführende Stellen. Diese Fallübergabe an das Team des Familienzentrums Pichling erfolgte in der Vergangenheit entweder durch Mitarbeiter*innen des Vereins Neustart oder durch die Kinder- und Jugendhilfe, mit der das Familienzentrum eng vernetzt zusammenarbeitet.
Nach der Verschwiegenheitsentbindung durch die Klient*innen wird gemeinsam mit der Kinder- und Jugendhilfe ein Konzept für die Arbeit mit dem Täter und dem Familiensystem entwickelt.
Im Familienzentrum Pichling gibt es bei mehreren Mitarbeiter*innen die dafür notwendige Expertise mit gewalttätigen Menschen an der Beendigung ihres gewalttätigen Verhaltens zu arbeiten.
Familien-, Scheidungs- und Trennungsberatung
Um Gewalteskalation in Trennungssituationen von vornherein zu vermeiden, wurde im Familienzentrum Pichling ein spezielles Beratungssystem entwickelt. Zumeist ergreifen die Frauen die Beratungsinitiative. Die Männer verweigerten oft die Beratung oder brachen vorzeitig ab, deshalb entwickelte das Familienzentrum Pichling ein gemischtgeschlechtliches Beratungskonzept.
Seitdem wird hauptsächlich als Beraterpaar mit dem Elternpaar gemeinsam gearbeitet. Bei hohem eigenem Entwicklungsbedarf wird das Paar getrennt und der Berater arbeitet mit dem Mann und die Beraterin mit der Frau. Anschließend erfolgen wieder gemeinsame Termine. Als Folge nehmen die Männer Beratungstermine wahr und es kommt kaum mehr zu Abbrüchen.
Diese Vorgehensweise zeigt sich als effizient und sehr effektiv und hat sich bei konfliktreichen Scheidungs- und Trennungssituationen vielfach bewährt. Da immer ein*e Berater*in mit Gewaltberatungsausbildung anwesend ist, können bereits zu diesem Zeitpunkt deeskalierende Maßnahmen und Interventionen gesetzt werden.
„Scheidungs- und Trennungssituationen haben ein hohes Potenzial für Gewalthandlungen. Im Familienzentrum Pichling wird Gewalt verhindert, indem faire und tragfähige Lösungen entwickelt werden. In Linz gibt es keine andere Stelle, die diese Form der Unterstützung anbietet“, informieren Sozialreferentin Vizebürgermeisterin Karin Hörzing und Frauenstadträtin Mag.a Eva Schobesberger.
Familien-, Scheidungs- und Trennungsberatung mit dem Fokus „Gewalt beenden“ (internes OTA)
Dieses niedrigschwellige Beratungsangebot funktioniert ähnlich wie die Familien-, Scheidungs- und Trennungsberatung – mit dem Unterschied, dass bereits eine Gewalthandlung stattgefunden hat.
Diese Maßnahme wird ergänzend zu klassischem OTA angeboten, wenn:
- sich das Opfer vom Täter nicht trennen will
- wechselseitige Gewalthandlungen stattfinden oder
- die Beratung im Verschwiegenheitskontext stattfinden soll
- und kann als interne opferschutzorientierte Täterarbeit des Familienzentrums Pichling verstanden werden, da der Austausch der Informationen durch das Setting automatisch erfolgt.
In Einzelfällen kam es in diesem Bereich in der Vergangenheit zu Überweisungen durch die Kinder- und Jugendhilfe. Terminbestätigungen mussten zur Erfüllung der Auflage bei der Kinder- und Jugendhilfe vorgelegt werden. Wird die Auflage durch die Eltern erfüllt, kann durch die erfolgreiche Beratung die Unterbringung von Kindern in sozialpädagogischen Einrichtungen vermieden werden. Durch diese Maßnahme entsteht mittelfristig eine Kosteneinsparung bei der Kinder- und Jugendhilfe.
Die Arbeit in diesem Bereich verhindert zukünftige Gewalt und gibt Männern und Frauen die Chance, einseitige oder gegenseitige Gewalttätigkeit zu beenden. Diese Art von Gewaltberatungsarbeit bietet in Linz nur das Familienzentrum Pichling an.
Gewaltberatung für Burschen
Burschen, die im schulischen Kontext oder zu Hause Gewalt ausüben, werden von den Mitarbeiter*innen des Familienzentrums Pichling unterstützt. Sie lernen, die Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen, ihr gewalttätiges Verhalten zu beenden und alternative Handlungskonzepte zu entwickeln.
Neben Selbstmeldern aus dem familiären Kontext gibt es Überweisungen durch die Schule und die Kinder- und Jugendhilfe. Ergänzend zur oder im Anschluss an die Einzelbetreuung, die von der Kinder- und Jugendhilfe bezahlt wird, findet altersspezifische Gewaltberatung statt.
Gewaltberatung für Männer
Gewaltberatung ist hauptsächlich ein Konzept für das Dunkelfeld. Sie kann jedoch auch im Hell- und Graufeld angewandt werden, wenn Täter oder Opfer einer Verschwiegenheitsentbindung nicht zustimmen.
Das aktuelle (Gewalt-)Problem und die aktuelle Lebenssituation sind Grundlage der Beratungsgespräche. Die Arbeit ist gegenwarts- und lösungsorientiert. Zentraler Bestandteil ist die Arbeit an der Verantwortungsübernahme für die Tat und die Entwicklung einer besseren Selbstwahrnehmung und Opferempathie.
(Informationsunterlage zur Pressekonferenz mit Sozialreferentin Vizebürgermeisterin Karin Hörzing und Frauenstadträtin Mag.a Eva Schobesberger zum Thema „Gewaltschutz in Linz“)