Leben & Stadt

Linzer Straßennamenkommission legt umfassenden Bericht vor

Im Auftrag des Gemeinderates der Stadt Linz überprüfte eine Kommission von Expertinnen und Experten die Linzer Straßennamen bzw. deren Namensgeber und Namensgeberinnen auf mögliche Belastungen. Die Ergebnisse sind auf über 1800 Seiten dokumentiert.

Der Bericht der Linzer Straßennamenkommission zeugt von der umfassenden und genauen Arbeit der Kommission in den letzten drei Jahren. Erstmals liegt nun eine vollständige Analyse zu all jenen Linzer Verkehrsflächen vor, die aus irgendeinem Grund als problematisch angesehen werden können.“

Bürgermeister Klaus Luger

 Auftrag des Gemeinderates

In Linz existieren derzeit 1.158 offiziell benannte Verkehrsflächen. Eine amtliche Benennung von Straßen und Plätzen ist seit 1.869 üblich. Seit damals hat sich die Praxis herausgebildet, Verkehrsflächen besonders nach bedeutenden Persönlichkeiten zu benennen, weshalb heute beinahe die Hälfte der Linzer Straßennamen Personen gewidmet ist.

Im Juli 2019 fasste der Gemeinderat der Stadt Linz den einstimmigen Beschluss, die Linzer Straßennamen bzw. die Personen, nach denen die Verkehrsflächen benannt sind, zu überprüfen. Der Auftrag des Gemeinderates war sehr umfassend formuliert: Es sollten alle Belastungen in Bezug auf Nationalsozialismus, Antisemitismus, Rassismus, autoritäres Gedankengut oder aus anderen Gründen ermittelt und dokumentiert werden.

Linzer Straßennamenkommission

Auf Basis des Gemeinderatsbeschlusses wurde eine Kommission aus internen und externen Expertinnen und Experten bestellt, die aufzuzeigen hatte, welche Verkehrsflächen aus welchen Gründen als problematisch anzusehen sind.

Folgende Kommissionsmitglieder wurden bestellt:

  • Walter Schuster, Direktor des Archivs der Stadt Linz (Vorsitz)
  • in Cornelia Daurer, Archiv der Stadt Linz
  • -Prof. Dr. Marcus Gräser, Vorstand des Instituts für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte der Johannes Kepler Universität Linz
  • in Brigitte Kepplinger, Obfrau des Vereins Schloss Hartheim
  • Martin Krenn, Abteilungsdirektor des Archivs für Wissenschaftsgeschichte im Naturhistorischen Museum Wien
  • in Cornelia Sulzbacher, Direktorin des Oberösterreichischen Landesarchivs

Früher benannte Verkehrsflächen entsprechen vielfach nicht heutigen Standards

Der überwiegende Teil aller Straßennamen stammt aus einer Zeit, die in der Regel mehrere Jahrzehnte, vielfach auch mehr als 100 Jahre, zurückliegt. Die meisten heutigen Namen wurden demnach von früheren Generationen – und nicht von den jetzt lebenden Menschen – als „erinnerungswürdig“ eingestuft. Mit dem historischen Wandel veränderten sich die Auffassung und die Maßstäbe darüber, was als vorbildhaft, verdienstvoll oder ehrenwert angesehen werden kann und was nicht. Das hat zur Folge, dass viele bestehende Linzer Benennungen – aus heutiger Sicht – wegen der geänderten politischen, gesellschaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse als überholt oder nicht mehr zeitgemäß angesehen werden müssen.

Von den derzeit 1.158 Verkehrsflächen in Linz wurden nicht weniger als 910 bereits vor dem Jahr 1970 benannt. Im Vergleich dazu kamen in den letzten 20 Jahren nur 60 neue Straßennamen hinzu. Während vor dem Jahr 1970 382 Verkehrsflächen nach Männern und nur zwölf nach Frauen benannt wurden, lautet das Verhältnis in den letzten 20 Jahren 23 zu 16 zugunsten der Frauen.

Insbesondere seit den 1990er Jahren wurde in Linz versucht, modernere Vorstellungen von Straßenbenennungen – etwa nach Opfern des Nationalsozialismus – umzusetzen. Allein in den letzten 15 Jahren wurden folgende Verkehrsflächen neu benannt: 2006 Tschofenigweg (nach Gisela Tschofenig, Widerstandskämpferin, 1945 ermordet); 2011 Tausskyweg (nach der jüdischen Mathematikerin Olga Taussky-Todd); 2013 Rothschildweg (nach Kurt Rothschild, Emigrant und später Wirtschaftswissenschaftler und Rektor der JKU); 2014 Wallenbergstraße (nach Raoul Wallenberg, der sich für die Rettung ungarischer Jüdinnen und Juden engagierte) und Wilenskyweg (nach der jüdischen Tänzerin Edith Wilensky, die zur Emigration gezwungen wurde); 2016 Menzelweg (nach Rudolfine Menzel, jüdische Wissenschaftlerin, zwangsweise emigriert nach 1938); 2019 Klauberweg (nach Leontine Klauber, Vorständin des Jüdischen Frauenvereins in Linz und Opfer der Shoah); 2022 Simon-Wiesenthal-Platz (nach dem Gründer der Jüdischen Historischen Dokumentation in Linz).

566 Verkehrsflächen nach Personen benannt

Beinahe die Hälfte aller Linzer Verkehrsflächen sind nach Personen benannt. Diese Straßen bzw. deren Namensgeber und Namensgeberinnen standen im besonderen Blickpunkt der Untersuchung.

Die Arbeit der Kommission konzentrierte sich auf jene Personen, die nach 1800 gelebt haben. Ein besonderes Augenmerk wurde auf alle Bürgermeister – inklusive der nach Linz eingemeindeten Ortschaften – der Zeit ab zirka 1870 gelegt. Insgesamt wurde zu 184 Männern und Frauen recherchiert, für 96 dieser Personen wurde eine Biographie erstellt.

Schwerpunkte der Recherchen

Die Recherchen wurden primär vom wissenschaftlichen Personal des Archivs der Stadt Linz, zudem auch von Mitgliedern der Kommission selbst sowie von den Autorinnen und Autoren der jeweiligen Beiträge vorgenommen. Auf Grund des breitgefächerten Auftrags des Gemeinderates kristallisierten sich mehrere Schwerpunkte bei den Recherchen heraus, von denen die Themenfelder Antisemitismus und Nationalsozialismus die umfangreichsten darstellten.

Antisemitismus

Insbesondere in der Zeit vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre machte sich der Antisemitismus in Österreich wie auch in Deutschland in unterschiedlichen politischen Milieus in unterschiedlicher Stärke bemerkbar. Die Konstruktion einer deutschen Nation, der sich die allermeisten der deutschsprachigen Österreicherinnen und Österreicher bis 1945 zugehörig fühlten, beförderte eine antisemitische Haltung, die darauf hinauslief, Jüdinnen und Juden als „Volksfremde“ aus dieser Nation ausschließen zu wollen. Deshalb lagen in der ausgehenden Monarchie und in der Zwischenkriegszeit die Unterschiede zwischen den politischen Parteien weniger im Vorhandensein antisemitischer Vorurteile und Ressentiments überhaupt, sondern in der Häufigkeit und Intensität des Auftretens. In den bürgerlichen Parteien war der Antisemitismus bereits in den jeweiligen Parteiprogrammen festgeschrieben, in der Sozialdemokratischen Partei wurde er mitunter in der Praxis, oftmals als Kapitalismuskritik, geäußert.

Unterschiede gab es vor allem im Ausmaß und der Heftigkeit des von einzelnen Personen vertretenen Antisemitismus, der von Vorurteilen über puren Opportunismus bis hin zu Fanatismus reichen konnte. Die Verbreitung antisemitischer Ansichten und Ideen ist allein schon deshalb als höchst problematisch einzustufen, weil dies zu einem gesellschaftlichen Klima beitrug, das die Machtübernahme der Nationalsozialisten erst ermöglichte.

Für die Arbeit der Kommission war entscheidend, ob und wie die zu beurteilenden Personen aktiv und exponiert Positionen des Antisemitismus vertreten und sich dadurch gegenüber anderen Personen in Worten und Taten abgehoben hatten. Die Mitglieder der Kommission bewerteten jedenfalls alle konkreten Versuche, Jüdinnen und Juden rechtlich zu diskriminieren, oder Aufrufe und Phantasien, sie physisch zu vernichten, besonders schwer.

Nationalsozialismus

Einen großen Schwerpunkt der Arbeit in diesem Forschungsprojekt stellte die Überprüfung aller Personen dar, die auf Grund ihrer Lebensdaten rein theoretisch Mitglieder der NSDAP oder ihrer Gliederungen geworden sein könnten. Dieser grundlegenden Überprüfung wurden alle diese Personen unterzogen, ungeachtet dessen, wie gering die Wahrscheinlichkeit einer NS-Mitgliedschaft bei vielen von ihnen war. Damit sollte vermieden werden, NS-Belastungen auf Grund falscher Vorannahmen zu übersehen.

Es wurden 23 Personen als ehemalige Mitglieder der NSDAP identifiziert. Auch Untersuchungen in anderen Städten haben gezeigt, dass mehrere Straßen nach Personen benannt worden waren, die auch Mitglieder der NSDAP gewesen waren. Ein Vergleich mit den Forschungsergebnissen zur Stadt Salzburg ergab, dass bei ungefähr gleich vielen Verkehrsflächen gesamt (Linz: 1.158, Salzburg: 1.156) und Benennungen nach Personen (Linz: 566, Salzburg: 566) die Zahl der NSDAP-Mitglieder in Salzburg mit 44 beinahe doppelt so ausfällt als in Linz mit 23 Personen.

Insgesamt war jedoch für die Kommission hinsichtlich der „NS-Belastung“ einer Person nicht nur ausschlaggebend, ob diese Mitglied in der NSDAP, SS oder SA gewesen war, sondern ob sich darüber hinaus ein aktives Handeln für den Nationalsozialismus bzw. gegen die von den NS-Machthabern definierten „Feinde“ des Regimes nachweisen lässt. Zu einem solchen „aktiven Handeln“ konnten die Ausübung von Ämtern in NS-Organisationen, publizistische Aktivitäten und andere persönliche Positionierungen zählen. Relevant war zudem, inwieweit jemand von der NS-Herrschaft persönlich profitiert hatte. Tatsächlich ergaben die Forschungen, dass die Verstrickung der Betreffenden in den Nationalsozialismus in mehreren Fällen über das Faktum einer bloßen Mitgliedschaft in nationalsozialistischen Organisationen hinausgegangen war.

Weitere Problemfelder

Einen Schwerpunkt der Untersuchung stellten auch die Funktionäre des sogenannten Ständestaates bzw. des autoritären Regimes der Jahre 1933 bis 1938 dar. Außer Nationalsozialismus, Antisemitismus und autoritärem Ständestaat wurden auch andere Themenfelder in die Diskussion miteinbezogen. Es erfolgte daher auch eine Beurteilung von Personen hinsichtlich ihrer Einstellung zur Diktatur in der Sowjetunion im Allgemeinen und zur Person von Josef Stalin im Speziellen. Unter weitere Problemfelder fallen noch die Themen Frauenfeindlichkeit, Kolonialismus und unethische medizinische Versuche an Menschen.

Einteilung in Kategorien

Vor der eigentlichen Besprechung und Bewertung der einzelnen Biographien hat die Kommission die folgenden fünf Kategorien definiert, in die alle mit Einzelbiographien erfassten Personen eingereiht wurden:

  • Kategorie 1: aktives Handeln und extrem starke Propagierung von gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit (z.B. Rassismus / Antisemitismus / Nationalsozialismus – auch über 1945 hinaus), Ablehnung der Demokratie und Befürwortung eines autoritären Systems, Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit (laut Nürnberger Kategorien).
  • Kategorie 2: stabile Spur im Erwachsenenleben (Funktion in Parteien und Organisationen, zu deren Wesenskern Rassismus / Antisemitismus / antidemokratische Einstellung gehören und Förderung / Vertretung dieses Gedankenguts; Gedankengut in Quellen gut rekonstruierbar).
  • Kategorie 3: keine stabile Spur (punktuell, Opportunismus, taktischer Einsatz von Versatzstücken antisemitischer / nationalsozialistischer / rassistischer / antidemokratischer Provenienz); einfache NSDAP-Mitgliedschaft; kein eigenes Handeln nachweisbar (höchstens punktuelle verbale Propagierung).

Außer diesen drei „Belastungskategorien“ wurden noch die Kategorien 4 (kein Diskussionsbedarf auf Grund der definierten Kriterien) und 5 (Verdachtsmomente, aber zu wenige Informationen wegen dürftiger Quellenlage) definiert.

 

Zahlenmäßige Verteilung der Personen

auf die einzelnen Kategorien

Kategorie 1 4
Kategorie 2 21
Kategorie 3 39
Kategorie 4 31
Kategorie 5 1
Gesamt 96

Eine einzige Person – Andreas Plenk – wurde der Kategorie 5 zugeteilt: Ausschlaggebend für diese Einordnung war, dass bei ihm auf Grund seiner beruflichen Position der Verdacht eines für die Beurteilung entscheidenden Fehlverhaltens (persönliche Mitwirkung an Zwangssterilisationen) gegeben ist, die Quellenlage es aber unmöglich macht, diesen Verdacht zu bestätigen oder zu widerlegen.

64 Personen problematisiert

61 Männer und drei Frauen wurden von der Kommission aus unterschiedlichen Gründen problematisiert. Damit ist der Frauenanteil an den „Problemfällen“ mit 4,7 Prozent deutlich geringer als an allen nach Personen benannten Verkehrsflächen, der 8,7 Prozent ausmacht.

Die gravierendsten Fälle

Die Untersuchung und Beurteilung ergab kein einziges Beispiel, das in seiner Problematik und Dimension mit dem Fall der 1973 benannten und 1986 umbenannten Langothstraße vergleichbar wäre. SS-Brigadeführer Franz Langoth hatte gegen Ende der NS-Herrschaft das Amt eines Oberbürgermeisters der Stadt Linz versehen. Als Richter des NS-Volksgerichtshofes war er für die Fällung von zumindest 41 Todesurteilen gegen Männer und Frauen mitverantwortlich gewesen, die vielfach gewaltlos Widerstand gegen das NS-Regime geleistet hatten.

Die Linzer Straßennamenkommission hat vier Personen in die Kategorie 1 eingereiht:

  • Hans Pfitzner, Komponist: Pfitzner trat früh als überzeugter, radikaler Antisemit auf und propagierte Antisemitismus im Bereich der Musik. Er betrieb NS-Wahlpropaganda und verharmloste den Nationalsozialismus und den Holocaust auch noch nach dem Ende der NS-Herrschaft.
  • Ferdinand Porsche, Konstrukteur: Porsche nahm eine zentrale Funktion in der NS-Kriegswirtschaft ein und förderte aktiv die Zwangsarbeit von Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen. Dabei nahm er deren Tod sowie den Tod ihrer Kinder durch unmenschliche Zustände in den Lagern in Kauf.
  • Franz Resl, Unterhaltungskünstler: Resl vertrat als NS-Propagandist einen radikalen Antisemitismus und war als Ratsherr Teil der nationalsozialistischen Linzer Stadtverwaltung.
  • Johannes Maria Gföllner, Bischof: Gföllner propagierte öffentlich und einflussreich Antisemitismus und nahm bei der Abschaffung der Demokratie in Österreich eine zentrale Rolle ein.

In die Kategorie 2 wurden insgesamt 21 Personen eingereiht:

Achleitner Viktor, Beurle Carl, Depiny Adalbert, Diller Richard, Dinghofer Franz, Eder Gustav, Ginzkey Franz Karl, Gleißner Heinrich, Hamerling Robert, Hirt Max, Karajan Herbert von, Krempl Josef, Müller-Guttenbrunn Adam, Pflanzl Otto, Raab Julius, Schatzdorfer Hans, Schießl Rudolf, Sperl Hans, Stelzhamer Franz, Wagner Richard und Weinheber Josef.

 

Linzer Straßennamenbericht

Link: https://stadtgeschichte.linz.at/strassennamenbericht.php

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