Linz-Geschichte(n)

Pichling: Der Verkehrsunfall, der fast die Geschichte Österreichs veränderte

Ein Marterl am Pichlinger See erzählt von einem Unfall, der Österreichs Geschichte fast verändert hätte. Am 13. Juli 1935 verunglückte die Staatslimousine von Kanzler Kurt Schuschnigg, seine Frau Herma starb. Gerüchte um ein Attentat halten bis heute an.

Marterl – auf Hochdeutsch Bildstöcke – am Wegesrand sind eine weitverbreitete Form der katholischen Volksfrömmigkeit in den Alpenländern. Sie sollen zu einem Gebet unterwegs anstoßen und dienen als Zeichen der Dankbarkeit für überstandene Gefahren oder zur Erinnerung an Unglücksfälle. Es ist darum kein Zufall, dass sich die Marterl-Dichte an vielbefahrenen Landstraßen im 20. Jahrhundert drastisch erhöhte.

Aufbruch zum verhängnisvollen Familienurlaub

Ein solches Marterl steht ungefähr auf Höhe des Pichlinger Sees an der B1, gleich bei der Gemeindegrenze zwischen Linz und Asten. Heute weitgehend vergessen, erinnert es an einen Verkehrsunfall und eine dabei ums Leben gekommene Person. Wie so viele andere – nur waren Umstände und Beteiligte dabei alles andere als gewöhnlich. Wir schreiben den 13. Juli 1935. Seit fast genau einem Jahr ist Kurt Schuschnigg (1897-1977) Bundeskanzler eines von seinem Vorgänger Engelbert Dollfuss errichteten autoritären, ständestaatlichen Österreich.

Nachdem Dollfuss beim sogenannten Juliputsch österreichischer Nazis am 25. Juli 1934 ermordet worden war, hatte Justiz- und Unterrichtsminister Schuschnigg als Kanzler übernommen. Gemeinsam mit seiner Frau Herma (1900-1935), dem sechsjährigen Sohn Kurt Junior, dessen Kindermädchen und einem Polizisten als Leibwächter, besteigt er in Wien am Morgen dieses 13. Juli die vom Chauffeur vorgefahrene Staatslimousine – ein Gräf & Stift SP8 – um zum Familienurlaub in St. Gilgen am Wolfgangsee aufzubrechen.

Spekulationen über Attentatsversuch

Um 12 Uhr 26 kommt es an der Grenze zwischen Asten und der damals noch eigenständigen Gemeinde Ebelsberg zu dem folgenschweren Unfall. Der Chauffeur verliert bei etwa 80 km/h die Kontrolle über den Wagen und rammt frontal einen Birnbaum. Kurt und Herma Schuschnigg werden durch das offene Sonnenverdeck geschleudert, der Kanzler bleibt mit einer Schulterfraktur bewusstlos liegen. Seine Ehefrau jedoch bricht sich die obere Wirbelsäule und ist sofort tot. Die anderen Insassen werden unterschiedlichen Grades verletzt.

Offiziell als Unfall „infolge eines leichten technischen Mangels an der Lenkung“ deklariert, war Kurt Schuschnigg jr. dagegen bis zu seinem Tod 2018 überzeugt, dass es ein Attentat der Nazis gewesen war, die dem sonst zuverlässigen Chauffeur Tags zuvor ein Schlafmittel verabreicht hätten und dieser somit übermüdet durch Sekundenschlaf den Unfall verursacht hätte. Bestätigt wurde dieser Verdacht des Kanzler-Sohnes nie.

Weitreichende Folgen

Das Unglück löste europaweit enormes Echo aus. Herma Schuschnigg wurde von der herrschenden Einheits-Partei – der klerikalfaschistischen „Vaterländischen Front“ – zum Idealbild einer Frau im Ständestaat stilisiert, der aufopferungsvollen, moralisch integren Gattin und Mutter, die, christlichen Idealen folgend Gutes für die Gemeinschaft tut. Schuschnigg traf der Verlust seiner Frau schwer, obwohl er ein außereheliches Verhältnis mit der Bildhauerin Anna Mahler, Tochter des Komponisten Gustav Mahler, unterhalten hatte. Dieses beendete er nun aus Schuldgefühlen, wiewohl er den Tod von Herma als Strafe Gottes interpretierte.

Birnbaum bewirkt beinahe Umsturz

Es kann nur darüber spekuliert werden, was passiert wäre, wenn auch der Kanzler diesen Autounfall nicht überlebt hätte. Die Möglichkeiten sind freilich vielfältig. Ein zweiter Bürgerkrieg um die Wiederherstellung der Demokratie ist ebenso denkbar wie ein zweiter Putsch der Nazis und ein früherer oder späterer Einmarsch Hitlers. So oder so wäre die Geschichte unseres Landes eine andere gewesen. Verändert durch einen Birnbaum in Pichling.

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